Aufstehen ist morgen um 5 Uhr. Hoffentlich mache ich es richtig. Nein, nicht das Aufstehen! Ich will dazupassen, wenigstens ein bisschen. Es ist meine eine Woche amisches Leben immer im Herbst, immer heilsam, immer tief berührend. Leben auf Zeit auf einem anderen Planeten.
Ich ziehe meine graue, einfarbige Bluse an, meine nicht zu enge Jeans. Als ich mit meiner angeknipsten Stirnlampe nach unten in die große Stube komme, knistert schon das Herdfeuer. Sohn Ephraim sitzt im geflochtenen Schaukelstuhl und wartet noch einen verschlafenen Augenblick lang, bevor er sich seine alten Stiefel anzieht, um draußen auf der dunklen Weide mit einem einfachen Schemel die Kuh zu melken.
Mutter Susanna bereitet das Frühstück. Vater Joseph will heute das kleine Maisfeld vor dem Haus „disken“ (eine besondere Form des Eggens), und zuvor noch beim Pferdebeschlagen arbeiten. Es haben sich rund 15 Leute mit Pferden von ausserhalb angemeldet. Er schneidet die Hufe, hobelt sie etwas runter, dann bringt er mit ein paar wenigen Hammerschlägen die neuen Hufeisen in Form und bringt sie auf dem Horn mit langen Nägeln mit großem Augenmaß an.
Trotz reichem Frühstück beeilen wir uns, weil uns die Buben noch vor der Schule beim Wäschewaschen helfen sollen. Wäschewaschen ist für mich harte Arbeit. Alles wird natürlich mit Hand gewaschen und rubbeln, auswringen, Wasser pumpen, die Wäsche mittels eines Holzpendels im Waschzuber durcheinander wirbeln ist alles Kraftarbeit. Ich werde nass und kalt und meine Hände steif. Aber ein Indianer kennt keinen Schmerz. Statt zu sagen: „Ich mag nicht mehr“, tu ich’s so gut ich kann, wie selbst die kleinen Buben noch vor der Schule.
Joseph und Susanna haben sieben Kinder, der älteste, Ephraim, ist 11, der jüngste 9 Monate. In ein paar Jahren haben sie vermutlich 10 Kinder. Das ist ganz normal. Oder mehr.
Rosi ist 29 Jahre und unverheiratet. Ich habe sie bei Nachbarn kennengelernt, als ich mit ihrer Familie für 22 Leute Kässpätzle mit Salat gemacht habe. Sie verfasst gerne Anekdoten über Geschehnisse in der Gemeinde und sie werden veröffentlicht. Ausserdem webt sie. Hier gibt es alles: Frauen, die zur Jagd gehen, Männer, die mit Strohballen ein hochmodernes Haus bauen, weil man sich so Baumaterialien sparen kann. Es wird experimentiert, es werden Maiskörner mit 2 Pferden auf der Tretmühle in stundenlanger Arbeit gemahlen, einer veröffentlicht botanische Bücher über Kräuter und Giftpflanzen.
Weil Farmer in vielen Gegenden der Vereinigten Staaten aufgeben und ihren Grund und Boden verkaufen, können sich amische Gemeinden erweitern. In meiner Gemeinde wird jetzt über eine zweite Schule nachgedacht. Die Gemeine dürfte sich in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt haben.
Gutes Benehmen ist ansteckend. Als Susanna ihren 7jährigen Jacob, mahnt, ihr Holz von unten zu holen, steht er still auf und erledigt die Arbeit. Jeder weiß im allgemeinen, was er zu tun hat. Es gibt niemals laute Worte. Schon gleich gar nicht Aggressionen. Bei so einem milden Umgangston wird selbst der störrischste Esel schnell bekehrt, sich einzufügen.
Für mich ist das höchste der Gefühle, mit ihnen zu spielen, zu lachen, und sie zu beobachten, wenn sie sich zu zehnt über einen Tisch beugen, weil sie in eine knifflige Spielaufgabe vertieft sind. Ja, es gibt freie Momente, z.B. am Sonntag nachmittag oder manchmal auch abends nach dem Abendessen, wenn im Schein der Petroliumlampe noch etwas zusammengehockt wird. Auch wenn Susanna und Joseph abends sicher meistens todmüde sind.
Gebadet wird einmal die Woche. Auch Zähneputzen findet dann statt. Aber Löcher hat noch niemand in der Familie. Höchstens in den Socken. Die werden dann als Lumpen für den Mopp verwertet. Wahrscheinlich liegt es an der gesunden Ernährung, dass die Zähne so gesund sind: Viel frische Milch, statt Zucker fast immer Molasse und Honig, viel Gemüse, frisches Brot oder Cornbread und alles natürlich aus eigener Herstellung. Chemie gibt es so gut wie keine. Interessant wäre einmal eine Studie über Allergien und andere Krankheiten bei Amischen. Wahrscheinlich gibt es hier sehr wenige Zivilisationskrankheiten.
Intellektuelle Gespräche sind eher selten, Diskussionen noch weniger. Arbeit, Kinder, Essen sind die Themen. Mir erklärt Susanna’s Schwester, warum sie gerne ihrem Mann „onterthon“ ist. Sie ist ihrem Mann untertan, der ist den Kirchenältesten untertan und die Kirchenältesten Gott. Keiner folgt seinem eigenen Willen. Nur Gottes Willen macht einen glücklich.
Joseph’s Vater ist so ein Kirchenältester. Er hält eine lange Predigt am Sonntag im Gottesdienst und ist doch ein sehr bescheidener Mensch. Alle, die ich bisher kennenlernen durfte, sind bescheiden. Und die meisten auch sehr heiter. Maria ist neben ihren anderen Aufgaben als Hausfrau und Mutter auch Hebamme und wird oft gebraucht. Ihr strahlt die Heiterkeit aus allen Knopflöchern, pardon, aus allen Nähten, weil Frauen aus Gründen der Bescheidenheit sich mit keinen Knöpfe zieren. Heute habe ich ein paar Dinge wie Spülmittel mit dem Wagen im nächsten Ort gekauft. Sie fährt mit ihrem Buggy gerade auf einer Schotterpiste. Ich messe auf meinem Tacho ihr Pferd läuft gerade 28 Meilen/Stunde. Von hinten sehe ich nur die fliegende Mähne ihres Rennpferdes und 2 große schwarze Bonnets, weil sie ihre Tochter Anna dabei hat. Von hinten sieht das verwegen aus: die 2 ruhigen schwarzen Gestalten auf rasender Fahrt. Als ich überhole sehe ich zweimal breites Grinsen, gleich zum nächsten Lacher bereit!
Pflicht und Heiterkeit liegen hier nahe beieinander. Ich habe schon in einem anderen Artikel darüber geschrieben.
Jetzt wird bald ein Haus mittels Pferdekraft zu einem anderen Standort gebracht. Es wird nicht zerlegt. Dort wo es bisher gestanden hat, wollen sie ein Strohballenhaus errichten. Das Gerüst wird aus Holz aus eigenen Wäldern stammen, die Strohballen dienen als Dämmmaterial (das hervorragend isoliert), und verputzt wird das Haus innen und aussen mit Kalk. So kann das Haus atmen und die Feuergefahr soll gering sein (ich hoffe es!). Billig ist das Haus, weil wenig Fremdmaterial gebraucht wird: Kein Rigips, keine industriell gesägten Bretter, keine Dämmung aus Glasfaserwolle, sogar weniger Schrauben und Winkelteile. Das Projekt wird von einer 64jährigen Unternehmerin begleitet, der sie vor rund 10 Jahren so ein Haus westlich Nashville, Tennessee, in der Nähe einer anderen amischen Gemeinde, nach eigenen Vorgaben gebaut haben. Damals hatten sie allerdings Lehm als Verputz verwendet. Die Unternehmerin – sie stellt besondere Crayons her, die Kinder motorisch fördern sollen – kommt gerade zu einer Besprechung, als ich mit einem Kässpätzlehobel bei Simon und Maria anrücke. Ich schneide Zwiebeln, Maria und Anna preparieren Eintopf und Pie und Vater und Söhne plaudern mit der unternehmerischen Nachbarin über letzte Einzelheiten zum gemeinsamen Projekt.
Amische Leute, oder „Plain People“, wie sie sich selber lieber nennen, wagen sich an alles, was ihnen hilft, ihre Familien zu ernähren und sie nicht von ihrer Umwelt abhängig macht. Die Frage drängte sich mir auf: Werden sie am Ende aus eigener Kraft so erfolgreich, dass sie die Nachbarn, von denen sie jetzt schon viel Land kaufen, überflügeln? Nein, meinte Luanne, weil sie nichts tun wollen, was sie von ihrer eigentlichen Bestimmung, ein schlichtes Leben mit Gott zu führen, ablenkt. Die viele Elektronik der anderen sehen Plain People mit Skepsis, auch wenn sie es nicht als ihre Aufgabe sehen, über andere zu urteilen.
Deshalb verlangt auch die 5jährige Lara, wenn sie mit mir barfuß zur Nachbarin wegen einer kleinen Lieferung läuft, nach ihrem großen schwarzen Bonnet. Sie trägt es über ihrem kleinen schwarzen Häubchen. Das Bonnet besteht aus einem ovalen, nach vorne offenen Drahtgestell, das mit schwarzem Tuch bezogen ist und vorne Rüschen hat. Das große Oval und die Verlängerung durch Rüschen konzentrieren den Blick nach vorne; zu viel Ablenkung ist unwahrscheinlich.
Cornelia Küffner